Zwischen Nutzen und Kontrolle – Berufliche Netzwerke im Zeitalter der Plattformökonomie

 Soziale Netzwerke

In der öffentlichen Kritik an den sogenannten „Big Tech“-Konzernen – jenen globalen Akteuren, die das digitale Leben durchdringen und ordnen – stehen meist dieselben Namen im Fokus: Google, Meta, Amazon, Apple, Microsoft. Sie gelten als Symbole einer Ökonomie, die auf Datensammlung, algorithmischer Steuerung und der ökonomischen Verwertung menschlicher Aufmerksamkeit beruht. Doch jenseits dieser allgegenwärtigen Riesen existieren digitale Räume, die sich unauffälliger geben, aber doch Teil desselben Systems sind – etwa die beruflichen Netzwerke LinkedIn und XING.

Die Fassade der Professionalität

Diese Plattformen präsentieren sich als Orte der Professionalität und des sachlichen Austauschs. Ihre Benutzeroberflächen sind auf Seriosität getrimmt, ihre Kommunikationsformen kontrollierter, ihr Vokabular gesäubert von den Exzessen anderer sozialer Medien. Statt Memes und Skandalen findet man hier Erfolgsmeldungen, Fortbildungsankündigungen und „Inspirationen zum Wochenstart“. Doch hinter der glatten Oberfläche wiederholen sich vertraute Mechanismen. Auch hier entscheidet ein Algorithmus über Sichtbarkeit. Auch hier wird Aktivität belohnt, Selbstvermarktung gefordert, Präsenz zum Kapital.

LinkedIn und die Ökonomie der Sichtbarkeit

LinkedIn, seit 2016 Teil des Microsoft-Konzerns, steht beispielhaft für diese Ambivalenz. Einerseits ist die Plattform für viele Berufstätige ein unverzichtbares Werkzeug geworden: zur Vernetzung, zur Jobsuche, zur Repräsentation der eigenen Laufbahn. Andererseits folgt sie der Logik eines globalen Datenunternehmens. Jeder Klick, jede Kontaktaufnahme, jedes „Gefällt mir“ fließt in ein System ein, das unsere berufliche Identität in Datensätze übersetzt – verwertbar, analysierbar, verkaufbar. Der Nutzer glaubt, sein Profil zu gestalten; tatsächlich gestaltet der Algorithmus seine Sichtbarkeit.

XING als digitales Relikt

XING wiederum spielt in einer anderen Liga: kleiner, regionaler, stärker an europäische Datenschutzstandards gebunden. Es ist ein Relikt aus der Frühzeit des sozialen Netzes, als man noch glaubte, digitale Räume könnten lokal, überschaubar und kontrollierbar bleiben. Doch auch XING funktioniert nach der Logik der Plattform: Es lebt von der Aktivität seiner Nutzer, vom ständigen Aktualisieren und Teilen. Nur die Dimension ist eine andere – weniger global, weniger invasiv, aber doch Teil derselben digitalen Ökonomie.

Zwischen Nutzen und Anpassung

Die bewusste Nutzung solcher Netzwerke ist daher ein Balanceakt. Einerseits bieten sie reale Vorteile: Sie verbinden Menschen, erleichtern berufliche Mobilität, eröffnen Chancen. Andererseits formen sie – subtil, aber nachhaltig – das Selbstbild des modernen Arbeitenden: immer verfügbar, immer optimiert, immer sichtbar. Die Grenze zwischen beruflicher Identität und digitaler Persona wird porös. Selbstvermarktung wird zur Voraussetzung beruflicher Existenz.

Die leise Normalisierung

Vielleicht liegt gerade darin ihre eigentliche Macht: Nicht in der offenen Manipulation, sondern in der schleichenden Normalisierung einer Haltung, die Sichtbarkeit mit Wert gleichsetzt. Der Mensch wird zum Profil, das Profil zur Ware, und das Netzwerk zur Bühne einer leisen Konkurrenz, die sich professionell gibt, aber doch demselben Prinzip folgt wie jedes andere soziale Medium: Aufmerksamkeit ist die Währung, und Daten sind das Produkt.

Fazit – Digitale Mündigkeit als Gegenentwurf

Im Schatten der großen Tech-Konzerne erscheinen LinkedIn und XING harmloser, fast bürgerlich. Doch sie gehören, wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen, zur Infrastruktur derselben digitalen Moderne, die das Arbeitsleben zunehmend in Plattformlogiken übersetzt. Wer sie nutzt, bewegt sich – bewusst oder unbewusst – im Spannungsfeld zwischen Nützlichkeit und Anpassung, zwischen Selbstbestimmung und algorithmischer Steuerung.

Man kann sich dieser Dynamik kaum entziehen. Aber man kann sie erkennen – und darin liegt vielleicht der erste Schritt zu einer neuen digitalen Mündigkeit.

© Essay | Für: Mittelstandsjournal –
Jürgen E. Metzger19.
Oktober 2025
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